Wer an der Nordseeküste und speziell durch Ostfriesland reist, sieht unterwegs viele Kanäle mit ihren charakteristischen Klappbrücken, Schleusen, Deichen, Mühlen und Sielen.
Diese Wasserwege und Deiche sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern dienen auch dem Schutz vor Hochwasser und Sturmfluten.
Der im 16. Jahrhundert begonnene Deichbau hatte zur Folge, dass das Wasser aus dem Hinterland nicht mehr ins Meer abfließen konnte.
Daher wurden Kanäle, Schleusen und Siele gebaut, um eine Überflutung des Hinterlandes zu verhindern und um überschüssiges Wasser während der Ebbe in die Nordsee zu leiten.
Die Abbildung zeigt auf der linken Bildseite das neue Schöpfwerk und auf der rechten Bildseite das Neue Siel in Greetsiel
Ein Siel ist ein verschließbarer Gewässerdurchlass in einem Deich. Das Schließen erfolgt durch Druck bei höherem Wasserspiegel auf der Meerseite, das Öffnen durch höheren Druck von der Binnenseite bei niedrigem Wasserstand auf der Meerseite. Die Siele entleeren sich durch ihr Gefälle bei Ebbe von allein in die Nordsee.
Diese Funktionen lassen sich nur im Rhythmus der Tide bewerkstelligen.
Ein Siel ist also ein Ventil zur passiven Entwässerung des hinter dem Deich gelegenen Binnenlandes, besonders als Teil des Entwässerungssystems von Marschgebieten.
Ortsnamen mit dem Namensteil -„siel“
In der Blütezeit der Frachtsegler im 18. und 19. Jahrhundert wurden 47 kleine Häfen und Sielhäfen an der niedersächsischen Nordseeküste zwischen Ems und Elbe gezählt.
Viele Ortsnamen entlang der deutschen Nordseeküste haben daher die Endung „-siel“. Auch im Binnenland gibt es Sielorte. Durch frühe Eindeichungen und Landgewinnung hat sich die Küstenlinie verschoben und ein Sielort liegt jetzt im Binnenland.
Welche Sielorte und Sielhafenorte lassen sich mit Einschreiben oder Einschreibzetteln aus den unterschiedlichen Verwendungszeiten belegen?
Landkreis Aurich:
- Dornumersiel (später 2988 Dornumersiel)
R-Brief Dornumersiel nach Landeck, Poststempel 5. Juli 1905
R-Zettel vom obigen Beleg, R rechtsstehend
- Greetsiel (später 2974 Krummhörn 3)
R-Zettel (23) Greetsiel über Emden 1
1816 schrieb sich dieser Ort Greetsyhl. Belegt mit einem Stempel aus dem Königreich Hannover.
- Neßmersiel (später 2981 Nesse, Ostfriesland 3)
R-Zettel Nessmersiel, gezähnt, aus Bogen
Neßmersiel ist der Fährhafen für die Nordseeinsel Baltrum.
Landkreis Friesland und die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven:
- Mariensiel (später 2945 Sande, Kreis Friesland 3)
R-Zettel mit Amtskennzeichen (AKZ) 9 F, Mariensiel über Wilhelmshaven
Mariensiel hatte 1937 einen Poststellen II Stempel mit der Inschrift „Mariensiel über Wilhelmshaven“ im Einsatz.
- Hooksiel (später 2949 Wangerland 3, Hooksiel war bis 1870 Vorhafen der Stadt Jever)
R-Brief Hooksiel nach Nürnberg, Poststempel 27. Juli 1946
R-Zettel vom obigen Beleg, Einheitsausgabe Deutsches Reich
- Horumersiel (später 2949 Wangerland 2)
R-Zettel 23 Horumersiel (Oldb)
- Rüstersiel (später 2940 Wilhelmshaven 15)
R-Brief Rüstersiel über Wilhelmshaven nach Berlin, Poststempel vom 21. Februar 1948, zweifach verwendeter Umschlag aus Wilhelmshaven vom 9. Oktober 1947
R-Zettel vom obigen Beleg, Rüstersiel über Wilhelmshaven, Einheitsausgabe Deutsches Reich
Landkreis Wesermarsch:
- Fedderwardersiel (später 2893 Butjadingen 11)
R-Zettel aus 2893 Butjadingen 11. Hinter der 11 verbirgt sich Fedderwardersiel, auf einem Beleg vom 24. August 1990
Der Autor Dieter Jacobs hat in seinem Buch „Die Postgeschichte des Butjadinger Landes“ sich u.a. mit der Postgeschichte von Fedderwardersiel beschäftigt:
Eröffnung der Landpoststelle am 1. März 1931 in den Räumen eines Kolonialwarengeschäfts und Gaststätte. Am 31. Dezember 1995 wurde diese Land-Poststelle II geschlossen. Belegt vom Autor sind Poststellen II Stempel von „Fedderwardersiel über Nordenham“ (27. Januar 1939), „23 Fedderwardersiel über Nordenham“ (3. November 1949 und 14. November 1958), „2891 Fedderwardersiel“ (5. März 1963) und einem Tagesstempel „2891 Fedderwardersiel“ (17. April 1964).
- Großensiel (später 2890 Nordenham 18)
R-Zettel aus 2890 Nordenham 18. Hinter der 18 verbirgt sich Großensiel, auf einem Beleg vom 28. Juni 1990
Großensiel liegt an der Weser.
- Kleinensiel (später 2883 Stadland 4)
R-Brief 2883 Stadland 4 nach Gundelfingen, Poststempel 13. Januar 1978
R-Zettel vom obigen Beleg. Eine kleine Besonderheit: R-Zettel aus 2891 Kleinensiel mit nur zweistelligem Numerator (17), überstempelt mit 2883 Stadland 4
Kleinensiel liegt an der Weser und benutze 1954 u.a. einen viereckigen Poststellen II Stempel in Kastenform mit Inschrift „23 Kleinensiel über Nordenham“ und 1963 „2891 Kleinensiel“.
Landkreis Wittmund:
- Altfunnixsiel (später 2944 Wittmund)
R-Brief Altfunnixsiel nach Hamburg, Poststempel vom 24. Juli 1975
R-Zettel vom obigen Beleg mit vierstelliger Postleitzahl 2941
Was für ein schöner Ortsname, Altfunnixsiel
- Bensersiel (später 2943 Esens 2)
Blanko R-Zettel gezähnt mit Stempel Bensersiel über Esens (Ostfriesl)
Bensersiel ist der Fährhafen für die Nordseeinsel Langeoog. In Bensersiel wurde am 1. April 1888 eine Postagentur mit Telefonbetrieb eröffnet. Zum 1. Juni 1973 folgte die Umbenennung in 2943 Esens 2.
- Carolinensiel (später 2944 Wittmund 2)
R-Zettel 23 Carolinensiel (Ostfriesl)
Der Binnenhafen von Carolinensiel liegt geschützt direkt vor dem Schöpfwerk (Harlesiel Schöpfwerk erbaut 1953-1957). Das historische Bauwerk hat eine Schleuse. Aber es hat eine noch wichtigere Bedeutung. Von hier wird der Wasserstand des Flusses Harle und der umliegenden Gebiete geregelt. Denn dieses Land entstand durch Eindeichung. Einst reichte die Nordsee bis an den Museumshafen.
1857 schrieb sich dieser Ort Carolinensyhl. Belegt mit einem Poststempel aus dem Königreich Hannover.
- Neuharlingersiel (später 2943 Neuharlingersiel)
R-Zettel mit Amtskennzeichen (AKZ) 9 B 9, Neuharlingersiel üb Esens (Ostfriesl)
Ein weiter R-Zettel mit AKZ von Neuharlingersiel mit 9 F „üb Wilhelmshaven“ ist bekannt.
Neuharlingersiel ist der Fährhafen für die Nordseeinsel Spiekeroog. Am 20. Juni 1867 wurde in Neuharlingersiel eine Postagentur II. Klasse eingerichtet. Zum 1. September 1904 gab es für den Ort die Zusatzbezeichnung „Ostfriesl.“.
Folgende Sielorte aus Niedersachsen sind bekannt, können aber bisher nicht im Sinne dieses Beitrags belegt werden:
- Altgarmssiel (zu Gemeinde Wangerland, Lk. Friesland)
- Altharlingersiel (Ortsteil von Neuharlingersiel, Lk. Wittmund)
Eröffnung einer Poststelle in Altharlingersiel am 16. April 1883. Zum 1. Oktober 1971 wurde die Poststelle aufgehoben. Es ist ein Poststellen II Stempel „Altharlingersiel Wittmund Land“ von 1932 belegt.
- Crildumersiel (zu Gemeinde Wangerland, Lk. Friesland)
- Dreisielen (zu Berne, Lk. Wesermarsch)
- Ellensendammersiel (zu Gemeinde Bockhorn, Lk. Friesland)
- Friederikensiel (zu Gemeinde Wangerland, Lk. Friesland)
- Harlesiel (Ortsteil von Wittmund und Fährhafen nach Wangerooge)
- Hilgenriederssiel (zu Gemeinde Hagermarsch, Lk. Aurich). Hilgenriedersiel war bis 1892 Startpunkt für die Postbeförderung zur Insel Norderney .
- Hollersiel (Gemeinde Hude, Lk. Oldenburg)
- Lichtenbergersiel (zu Berne, Lk. Wesermarsch)
- Neuenhuntorfersiel (zu Berne, Lk. Wesermarsch)
- Neufunnixsiel (Siedlung, zu Wittmund)
Ein Poststellen II Stempel von „Neufunnixsiel über Wittmund“ ist aus dem Jahr 1937 belegt.
- Neugarmssiel (zu Gemeinde Wangerland, Lk. Friesland)
- Sophiensiel (zu Gemeinde Wangerland, Lk. Friesland)
- Wapelersiel (Gemeinde Jade, Lk. Wesermarsch)
- Westeraccumersiel (Lk. Aurich)
Die Gemeinde Wangerland im Landkreis Friesland hat eine 27 Kilometer lange Küstenlinie zur Nordsee und daher eine Vielzahl von Siel-Bezeichnungen. In der Gemeinde Wangerland leben auf großer Fläche etwa 9200 Einwohner.
Viele größere oder kleinere Siele sind mit einem Namen versehen. Manchmal liegen sie einsam und versehen ihren Dienst. Sie sind keine Namensgeber für Ortschaften und werden daher hier vernachlässigt. Aber sie sind sicher einen Besuch wert, z.B. bei einer Radtour.
Auch auf den ostfriesischen Inseln existieren Siele. Süßwasser, dass sich auf der Insel sammelt wird auf diesem Wege in die salzige Nordsee abgegeben.
Und natürlich gibt es auch Sielorte an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein. Auch in Bremerhaven kennt man diese Bezeichnung, als Siel zur Weser. Und auch in Hamburg kennt man den Begriff Siel. Der Versorger „Hamburg Wasser“ nennt seine Abwasserkanäle nicht Kanal, sondern Siel.
Die niederländische Endung -„zijl“ oder Westfriesisch -„syl“ verweist ebenfalls auf Orte, die an einem Siel liegen bzw. lagen beispielhaft Delfzijl.
Quellen:
- Deutsches Schifffahrtsarchiv, Heide Barmeyer: Die Sielhafenorte in der Oldenburgisch-Ostfriesischen Küstenmarsch zwischen Weser und Ems, 1975, https://ww2.dsm.museum/DSA/DSA01_1975_011023_Barmeyer.pdf, abgerufen 4.12.2024
- Postgeschichtliche Hefte Weser-Ems, 1978
- Fedderwardersiel, Ein Dorf im Wellenschlag der Zeiten, Wilhelm Niggemann, Förderkreis Museum Butjadingen, 1998
- Die Postgeschichte des Butjadinger Landes, Dieter Jacobs aus Stollham, 2016
- Sielhäfen in Ostfriesland, Günter G. A. Marklein, 2017
- Sehnsuchtsort Sielhafen, Norddeutscher Rundfunk, Die Nordstory, 1. Mai 2020
- Wo ist mein Wasser? Dirk Asendorf, Die Zeit, 6. August 2020
- Deutsches Sielhafenmuseum in Carolinensiel, Pumphusen 3, 26409 Wittmund-Carolinensiel, https://www.deutsches-sielhafenmuseum.de/
- Sielhafenmuseum Carolinensiel, Hinrich Siebelts, in Niedersachenbuch 1993 – Emden, Seiten 160 bis 163.
- Museumsverein Dornumersiel e.V., Am alten Hafen 1, 26553 Dornum, Zwei Siele Museum, https://www.zwei-siele-museum.de/
- https://www.sielwerk.de, J. Willms, Krummhörn, letzter Abruf 4. 12.2024
- Foto vom Autor Mai 2019